step by step, day by day.
….. das sind die ersten Zeilen von vielen die ich mit dir teile. Die ersten von vielen, die mir hoffentlich in Zukunft Heilung schenken, noch wertvollere Erkenntnisse geben und auch dich inspirieren.
Die ersten Zeilen, in denen ich versuchen werde, die letzten Wochen und Monate zu ordnen. Versuchen, ein wenig Klarheit zu schaffen.
Step by Step. Day by Day.
Dieses Zitat begleitet mich seit dem schwersten Tag meines Lebens. Es sind nun genau 86 Tage. 86 Tage. Und an die meisten von ihnen kann ich mich nicht mal mehr erinnern. 86 Tage sind vergangen, seit ich die Worte des Oberarztes gehört habe, die manchmal immer noch in meinem Kopf nachhallen und ich jedes Mal hoffe, dass es einfach nur ein schlechter Traum war und ich jetzt bald aufwache.
Worte, die mir den Boden unter den Füßen weggerissen haben und mir das genommen haben, was mir am meisten bedeutet in meinem Leben. Meinen besten Freund. Meinen größten Fan. Meine erste große Liebe. Mein Beschützer.
Vor 86 Tagen hörte ich die Worte: „Sie müssen jetzt ganz stark sein. Ihr Vater hat keine Hirnaktivität mehr und wird nie wieder aufwachen.“
Seit diesem Tag stehe ich oft neben mir. Höre oft nur ein rauschen in meinen Ohren. Bin oft nicht da und oft ganz weit weg. Verliere mich. Wenn auch nur kurz. Dann fange ich mich wieder. Lasse meine Emotionen nicht zu. Packe sie weg. In eine braune Schachtel. Atme tief durch und funktioniere.
Am Anfang war das einfach. In die Schachtel und weg damit. Klassische Verdrängung. Unser seelischer Abwehrmechanismus. Um schmerzliche Erinnerungen aus dem Bewusstsein zu verbannen. Sie auszublenden und ins Unbewusste abzuschieben.
Doch nach und nach wurde es immer schwieriger. Die Abstände in denen ich mich verliere und meine Fassade einbricht immer kürzer. Den Schmerz zu unterdrücken immer unerträglicher. Die Angst die Trauer zuzulassen immer größer. Gute Miene zur schrecklichsten Situation zu machen, Zu lachen und Spaß zu haben immer Absurder. Jedes mal fliegen mir danach Gedanken durch meinen Kopf. Wo ich mich dann wieder überzeugen muss, dass es ok ist und wichtig ist, mein Leben zu leben. Jeden Tag zu genießen. Freude zu haben. Spaß zu haben. Zu lachen.
Das kostet mich so viel Energie und so unglaublich viel Kraft. Kraft die ich niemals dachte aufbringen zu können.
Verrückt…. unser Körper, unser Geist und unsere Seele oder ?
Welchen Schmerz wir überleben. Wie sehr wir über uns hinaus wachsen können.
Welchen Ängsten wir entgegenstehen und wie wir sie überwinden können.
Wie „normal“ unser Leben nach außen scheint, obwohl innerlich alles wackelt und instabil ist.
Welche Stärke wir aufbringen können.
Step by Step. Day by Day.
Eine der wichtigsten Erkenntnisse in meiner Therapie. Es ist ok, dass jeder Tag anders ist. Mal gut. Mal nicht so gut. Mal komplett miserabel.
Ich darf jeden Tag so annehmen wie er ist. Ohne mir Vorwürfe in jeglicher Art zu machen. Sehr oft gelingt mir das. Und manchmal einfach nicht. Und auch das… ist vollkommen ok.
Ich darf mir an einem miserablen Tag die Zeit nehmen. Mich verkriechen. Auf dem Sofa sitzen und einfach nichts tun außer alle 8 Filme Harry Potter zu schauen.
Ich darf an einem guten Tag lachen, Spaß haben, ausgehen und feiern.
Aus vielen miserablen Tagen werden wenige. Und aus wenigen guten Tagen werden viele.
Und das braucht Zeit.
Zeit.
Zeit die wir alle zu genüge haben und doch reicht es oft nicht.
Weißt du, ich würde gerne die Zeit zurück drehen. Zurück zu der letzten Umarmung um einfach nochmal länger und fester zuzudrücken. Zurück zum letzten FaceTime Call. Um nochmal sagen zu können: Ich hab dich lieb Papa. Zurück zum letzten Formel 1 Wochenende. Um nochmal über die Strategien zu diskutieren, zu jubeln und um mich gemeinsam mit ihm aufzuregen wenn unser Lieblingsfahrer nicht gewinnt.
Und auch wenn ich weiß, dass dies niemals passieren wird, hätte ich einen Wunsch frei, würde ich mir genau das wünschen.
Um nur noch einmal mit ihm zu sprechen zu können. Ihn umarmen zu können. Und zu hören, dass er immer da ist und ich alles auf der Welt schaffe weil ich seine Tochter bin.
Paps hat immer gesagt:
„Tochter, wenn du verheiratet bist, tuts nimmer weh.“
und ich weiß, dass Paps recht hat. So wie immer.
love,
Kim


